Kubanews: In der Calle Empedrado am Vormittag

Bereits vormittags schieben sich Menschenmengen vorbei an der Bodeguita del Medio.

Für seine Wahlheimat Kuba ist der Literatur-Nobelpreisträger von 1954 ein Segen. Scharen von Hemingwayanern schieben sich durch die Gassen von Alt-Havanna und besuchen die wahren und die nicht ganz so wahren Hotspots seines Lebens. So strömen auch viele zur Bodeguita del Medio, die mit ihrer Vermarktungsstrategie zur weltweiten Marke avancierte.

Kleiner Anfang in den 1940er Jahren

Die kleine Kneipe in der Mitte, wie man den Namen lax übersetzen könnte, war eine Bodeguita von tausenden in Havanna. Zuerst als ein einfacher Lebensmittelladen mit Alkoholausschank von Angel Martínez 1942 übernommen, zog sie vor allem die Einheimischen und Arbeitenden aus der Umgebung an. Sie wurde Casa Martínez genannt und von Zeit zu Zeit gab es auch warme Speisen. 1949 kam die Köchin Silvia Torres dazu, sodass warmes Essen regelmäßig serviert werden konnte. Damit entwickelte sich die kleine Kneipe zum Treffpunkt der Kulturszene Havannas, denn sie versprühte damals schon einen Charme, den die Boheme der Stadt anzog.

Im Jahr 1950 benannte Martínez die Kneipe in Bodeguita del Medio um, angeblich am 26. April. Hier sammelte sich immer zahlreicher die Künstlerszene der Stadt, einer von ihnen war der kubanische Dichter Nicolás Guillén. Laut Selbstauskunft von Martínez, traf er Hemingway jedoch nur ein Mal, als er einen amerikanischen Whiskey für ihn besorgte. Eigentlich müsste Hemingway jedoch von Zeit zu Zeit in seiner Bodeguita gesehen worden sein, gerade wenn es ein so wichtiger Gast war.

Eine Urban Legend wird geboren

Kubanews: La Bodeguita del Medio und der Fake mit Hemingway

Gut gemacht, aber eben nicht echt. Der Spruch, der angeblich von Hemingway stammt inmitten von Schnaps und Devotionalien.

Es ist jedoch eine urbane Legende, dass Hemingway die Bodeguita besuchte. So sagten es sowohl der Journalist Fernando G. Campoamor als auch der ehemalige Besitzer der Bodeguita del Medio Angel Martínez (Alberto Sánchez im El Nuevo Herald). Ersterer war Teilhaber des Restaurants und hatte somit ein Eigeninteresse an der Legende, an deren Verbreitung er aktiv mitwirkte. Er soll es auch gewesen sein, der sich den Spruch im Duktus Hemingways ausdachte und er hatte durch Kontakte zu Hemingway genügend handschriftliches Material, sodass er einen Grafiker mit der Aufgabe betrauen konnte, die Worte in Hemingways Handschrift niederzubringen.

Und Martínez war sicher froh, dass es seine etwas abseits gelegene Bar in die Klatschnachrichten schaffte. Das ist schön nachzulesen bei T.J. English, Havana Nocturne im Kapitel Tropical Vengaence. Ein profunder Kenner von Hemingway bezüglich Kuba ist auch Norberto Fuentes, der keinerlei Verbindung zwischen dem großen Schriftsteller und der Bodeguita sah.

La Bodeguita del Medio

Gründe für das Ausbleiben des berühmten Gastes

Die Logik selbst kann einem jedoch auch helfen zu verstehen, dass die ganze Geschichte so niemals stimmen kann. Als ersten Grund sehe ich: Hemingway war Diabetiker. Er war zwar kein Kostverächter, was Alkohol anbelangte, aber er mied Drinks mit Zucker. Deshalb ließ er sich eigens in der Floridita einen zuckerfreien Daiquirí mixen. Mojito ist ohne Zucker aber nicht zu genießen, warum sollte es dann ausgerechnet Hemingway tun, der auf Genuss wert legte.

Kubanews: An der Bar der Bodeguita del Medio

Die Bar und auch die Wände sind reichlich mit Beschriftungen versehen.

Hemingway vermied den Kontakt mit den intellektuellen Gruppen in Havanna. Sehr gut nachfühlen lässt sich das in Paduras Roman Adiós Hemingway. Als Historiker und Schriftsteller gilt mir Padura als vertrauenswürdigere Quelle für die Gefühlslage seiner Protagonisten als die Werbebroschüre einer Touristikagentur. Padura schrieb recht deutlich, dass Hemingway Kuba nur sehr bedingt an sich heran ließ. Er liebte seine Fischer in Cojimar, die Floridita und seine Finca. Dementsprechend nahm er die Einladung zu einer Party der Bierbrauer Havannnas nur unter der Bedingung an, dass er seine Freunde aus Cojimar mitbringen durfte. Da die Bodeguita sich insbesondere in den 1950er Jahre jedoch als Treffpunkt der Boheme Havannas verstand, wird es der Schriftsteller wohl deutlich gemieden haben, dort einzukehren.

Drittens hatte er mit der Floridita eine Bar in unmittelbarer Nähe, die ihm sehr ans Herz gewachsen war. Sie besuchte er mit Gästen seiner Finca und auch allein. Diese Bar eignete sich perfekt für Charakterstudien, aber auch zum Essen und Saufen. Warum sollte er noch weiterziehen. Das erschließt sich mir nicht.

Denn schlussendlich hatte er ja noch Cojimar, wo er regelmäßig mit seinen Fischern trank. Hier konnte er die Ausfahrten zum Angeln mit dem Trinken angenehm verbinden, da ihm die Gesellschaft der Fischer angenehmer war als das intellektuelle Gequatsche.

Fazit

Für die Bodeguita del Medio ist Hemingway die Goldgrube. Das Kuba-Marketing hat sich voll darauf „eingeschossen“. Man sollte die Geschichte darum nicht so ernst nehmen, wie mir scheint.

Wer jetzt enttäuscht ist, kann es sein – ein Hemingway-Platz weniger in der Stadt. Oder man kann es auch so sehen: Wenn einem einer eine Hemingway-Tour verkaufen will und die Bodeguita ist dabei, so weiß man nun, dass man über den Tisch gezogen werden soll. Man kann es als Gradmesser für die Geschichten zu den anderen Locations nehmen, wenn man so will. Oder man kann mit dem Tourguide nun Argumente austauschen.

Ich wünsche trotzdem viel Spaß bei allen Hemingway-Touren in Havanna!

Quellen

  • T.J.English: Havana Nocturne
  • Leonardo Padura: Adiós Hemingway
  • Norberto Fuentes: Hemingway en Cuba.
  • Gérard de Cortanze, Hemingways Kuba, S. 148/149
  • Hemingways Welt, besonders der erste Kommentar mit reichlich Quellen, die ich hier nochmal wiedergebe: Tom Miller: Trading with the enemy. New York, 1992 . (Interview mit Fernando Campoamor), Jeannette Erazo Heufelder: Havana Feelings. Bergisch Gladbach, 2001. (Interview mit Fernando Campoamor), Ramón Guerra Gonzaléz: La Habana de Mongo P. Santiago de Compostela, 1998. Valerie Hemingway: Running with the Bulls. My years with the Hemingways. New York, 2004. Yuri Páporov: Hemingway en Cuba. Mexico, D.F. 1993. Osmar Mariño Rodríguez: La Habana de Hemingway y Campoamor. Holguin, 2009. Philip Greene: To Have and Have Another: A Hemingway Cocktail Companion. New York, 2012

PS: Wenn ich eine Hemingway-Tour machen würde, rein hypothetisch, würde ich mir vier Locations ansehen: Cojimar, Finca Vigía, Hotel Ambos Mundos und El Floridita.